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Diorama-Halbmodelle und ihre Entstehungsgeschichte

Die Anfertigung von Diorama-Halbmodellen – „Schiffen im Kasten“ – ist neben dem „Buddelschiffbau“ ein charakteristisches Kunsthandwerk der Seeleute im 19. und 20. Jahrhundert. Die Fahrensleute bauten die Segelschiffmodelle auf ihren langen Fahrten, um ihre Freizeit sinnvoll auszufüllen. Je nach handwerklicher Begabung muten die Modelle, die allesamt Unikate sind, naiv bis kunstvoll an, tragen aber immer die einmalige Handschrift ihres Erbauers. Insofern sind die kultur- und seefahrthistorisch wertvollen nautischen Antiquitäten individuelle und ganz persönliche Werke.

Als Motiv wählten die Modellbauer zumeist das, was sie täglich vor Augen hatten: Das Segelschiff im Kampf gegen die See, die Einfahrt in den Hafen vor malerischer Kulisse oder die übernahme des Lotsen. Die so entstandenen Dioramen zeigen oft ein grobes Abbild des Seglers, auf dem der Seemann einen Teil seines Lebens verbrachte. Da die Seeleute nicht über den Werftplan ihres Schiffes verfügten, wurden der Rumpf, die Masten, die Aufbauten und die Segel nach Augenschein, Erinnerung und etwas Phantasie gefertigt. Die kritischen Blicke der Kameraden sorgten indes dafür, dass die Phantasie nicht ausuferte: Jeder fuhr natürlich mit dem „schnellsten“ Schiff, mit den „höchsten“ Masten und den „größten“ Segeln.

Eine besondere Eigenart der „Schiffe im Kasten“ ist es, dass viele Modelle nicht den Namen des Originals tragen. Sie heißen beispielsweise Maria, Anna oder Bertha. Denn die Handarbeiten waren oft ein liebevolles Geschenk für die zurückgelassene Liebste, die monatelang von ihrem Seemann getrennt war. Andere Modelle tragen den Namen des Originals am Bug. Sie sind entsprechend vorbildgetreu und akkurat gearbeitet. Diese Schiffe waren zumeist als Geschenk für den Kapitän oder den Heuerbaas gedacht. Oft waren daran mehrere Seeleute beteiligt, um Rumpf, Masten, Segel, Malereien, die See und den Kasten selbst besonders präzise auszuführen.

Ähnlich wie die Buddelschiffbauer nutzten die Erbauer der Halbschiffe die Materialien, die sie an Bord vorfanden. Ein Stück Holz für Rumpf, Segel und Masten war sicher beim Schiffszimmermann zu bekommen. Ebenso Farbe, Kitt und Kalfaterwolle. Die Wahl der Materialien macht ein großen Teil des Flairs und der Ursprünglichkeit der Modelle aus. Nur der Rumpf, die Masten und der Kasten selbst waren immer aus Holz. Die Kastengröße wurde häufig durch einen vorhandenen Rahmen bestimmt. Die Segel wurden aus unterschiedlichen Materialien hergestellt. Sie waren entweder aus Holz geschnitzt oder aber aus Blechdosen geschnitten und anschließend in Form gebogen. Selten nur wurden sie aus Papier gefertigt. Die See, durch die der Segler glitt, wurde aus einem Holzblock geschnitzt, aus Gips oder Kitt geformt oder auch aus Kalfaterwolle in Wellen verlegt und verklebt. Ganz selten wurde die See aus Gaze gelegt oder mit Rosshaar und dünnem Blei geformt.

War der Kasten mit Himmel und Wolken, vielleicht einer Küste oder Hafeneinfahrt bemalt und Schiff, Segel und die See installiert, begann die wirklich schwere Arbeit für die groben Seemannshände: die Verstagung der Masten, die Anbringung der Schoten und Brassen sowie der dazugehörigen Blöcke. Und das alles musste natürlich zum Stand der Segel passen. Davon aber verstand der Seemann wirklich etwas. Da musste alles stimmen! Die Blöcke fein aus Holz geschnitzt, manchmal auch durch mitgebrachte Glasperlen dargestellt, mussten mit vielen Metern Garn durchzogen werden und auf ihrem richtigen Platz an den Segeln, Rahen, Masten und Deck befestigt werden. Auch wurde auf die richtige Flaggenführung Wert gelegt. Wenn das Schiff den Namen der Liebsten bekam, schrieb der Erbauer sehr häufig seine Anfangsbuchstaben in die Reedereiflagge.
Die Bestimmung der Herkunft und des Alters ist dann sehr schwierig. Manchmal gibt der Seemann einen Hinweis, beispielsweise durch Schlepper und Dampfschiffe, die durch das Diorama fahren und zur gleichen Reederei gehören. Auch ein Kutter und eine Hafenmole mit der Heimatflagge geben oft einen Hinweis auf die Herkunft des Schiffes oder des Erbauers.

Zwischen den Arbeitssitzungen blieb das Modell in seinem Holzkasten geschützt und ließ sich leicht unter der Koje verstauen. Wenn die Koje eine Hängematte war, wurde der Kasten mit der Öffnung zur Schiffswand hinter die Seekiste gestellt und beides zusammen verzurrt. Hatte der Seemann sein Werk beendet und war nach langer Fahrt wieder an Land, wurde der Kasten mit einem Rahmen und Glas versehen. Aus Platzgründen kam es auch vor, dass Rumpf, Segel, Blöcke und die Dekoration auf See geschnitzt und geformt und die Teile erst zu Hause in einen Kasten gesetzt wurden.

„Schiffe im Kasten“ sind nicht nur Zeugnisse der Seefahrt von besonders rührender und malerischer Ursprünglichkeit, sondern auch äußerst attraktive Dekorationsstücke und begehrte Sammlerobjekte.